BEETHOVENS STREICHQUARTETTE
ÜBERLEITUNG ZUR SPÄTEREN SCHAFFENSPERIODE




Beethoven zwischen 1814 und 1816



Das Einzigartige seiner letzten Streichquartette erlaubt uns vielleicht nicht zu Unrecht, die Frage zu stellen, welcher Art Beethovens menschliche und künstlerische Reise war, die ihn aus seiner mittleren Schaffensperiode bis in die letzte Schaffensphase seiner dritten Stilperiode hin führte.  

Wie bereits angedeutet, nehmen wir zur Erarbeitung einer Antwort auf diese Frage am besten den Faden dort wieder auf, wo Beethoven zum letzten Mal mit dem letzten Streichquartett seiner mittleren Schaffensperiode, Op. 95, zu tun hatte.  Dabei ist diese bescheidene Chronistin dem Komponisten sehr dankbar dafür, dass er selbst immer die lebendigsten Eindrücke in Bezug auf die Entstehung und Veröffentlichung seiner Werke liefern konnte, wie in diesen Zeilen an seinen Wiener Verleger: 

"Beethoven an Steiner & Co. in Wien 

                                                                                                                                           [Wien, zweite Hälfte Dezember 1816[[1]

   Es war ausgemacht daß in allen fertigen Exemplaren des quartets etc.  die Fehler solten korrigirt werden, dessen ohngeachtet besitzt der Adjutant die Unverschämtheit selbe uncorrigirt zu verkaufen; dieses werde ich noch heute zu ahnden u. zu bestrafen wissen, mit den Verzeichnißen[2] wird wie ich merke nur spott getrieben, allein ich werde auch hier wißen, was mir meine Ehre gebiethet u. gewiß nichts nachgeben. --  . . . --zu wissen ist, daß wenn ich nicht zwischen heute u. morgen von wärmern Diensteifer des Adjutanten überzeugt werde, demselben eine zweite schimpfliche Absezung drohet, obschon man denselben <sei> Unserer bekannten Großmuth getreu lieber befördert hätte. --

                                                                                                   der g ----- s . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 3, Brief Nr. 1024, S. 348; zu [1]: verweist laut GA darauf, dass sich der Brief auf die soeben (Mitte Dezember 1816) erschienene Originalausgabe des Streichquartetts Op. 95 bezieht; zu [2]: verweist auf Brief Nr. 992;  Einzelheiten S. 348 entnommen].

Nur Beethoven selbst konnte seinen Unmut über die Nachlässigkeit seines Verlegers so energisch, lebendig und menschlich zugleich ausdrücken!

Wie erging es ihm aber in seinem Privatleben zu dieser Zeit?  Im Herbst 1816 hatte er bereits fast ein Jahr einschneidender Veränderungen hinter sich.  Im November 1815 war sein Bruder Caspar Carl verstorben und hinterließ ihm, zusammen mit seiner Schwägerin Johanna, die Sorge um seinen 9jährigen Neffen Carl.  Aus diesem Dilemma entstand Beethovens jahrelanger Kampf gegen Carls von ihm als "Königin der Nacht" bezeichnete Mutter.  

Als ob diese Herausforderung an seine menschlichen Fähigkeiten -- als misstrauischer, schwerhöriger, alleinstehender Komponist -- noch nicht genug gewesen wäre, verlor Beethoven zu dieser Zeit durch die Abreise Gräfin Erdödys seinen unmittelbaren Umgang mit dieser in seinem Leben auch die Rolle eines "Beichtvaters" erfüllenden, guten Freundin und damit, zumindest vorübergehend, jeglichen mildernden weiblichen Einfluß in seinem Leben.

Der so Vereinsamte schloss sich wohl allein schon aus diesem Grund gesellschaftlich näher an die Familie Giannatasio del Rio, in deren Obhut er seinen Neffen zur Schulung gegeben hatte, an, als er es wohl unter anderen Voraussetzungen getan hätte.

Diese Familie wurde under anderem zum unmittelbaren Zeugen seiner Komposition des ersten Liederkreises der Musikgeschichte, "An die ferne Geliebte", Op. 98, den er im Frühjahr 1816 abschloss und mit dessen Schaffung er sich wohl auch künstlerisch von seinem Selbstkonzept als Junggeselle auf Freiersfüßsen endgültig verabschiedete.

Um auf die Giannatasios zurueckzukommen:  der folgende Brief Beethovens an sie aus dem Herbst 1816 zeigt uns, mit welchen Detailfragen er sich in seiner Sorge um seinen Neffen zu befassen hatte:

"Beethoven an Katharina Giannattasio del Rio

                                                                                                       [Wien, wohl November 1816][1]

    Die hochwohl und sehr wohlgeborene Frau A.G.[2] etc. ist höflichst gebeten, mir baldigst zu wissen zu machen, damit ich nicht so viel Beinkleider, Strümpfe, Schuhe, Unterziehhosen etc. im Kopfe zu behalten brauche, dem Unterzeichneten zu wissen zu machen, wie viel Ellen Casemir mein wohlgelaufener[?] Herr Neffe zu einem schwarzen Beinkleide nöthig haben und zu Gunsten der castalischen Quelle[3] bitte ich ohne weiter mehr daran zu erinnern, mir hierauf zu antworten.  Was die Frau Äbtissin[4] betrifft, so soll diesen Abend darüber in der Sache für Karl Abstimmung gehalten werden, nämlich: ob dabei zu verbleiben.

Dero wohl und übelgeborener

                                                                                                               L. v. Beethoven"

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 3, Brief Nr. 1003, S. 325-326; Original: nicht bekannt, Text laut GA nach dem Erstdruck Aus Beethovens letzten Lebensjahren.  2 Ungedruckte Briefe Beethovens, in: Die Grenzboten 16 (1857), 1. Semester, 2. Bd. S. 53 (Nr. 5); zu [1}: verweist darauf, dass laut GA Fanny Giannatasio am 10.11.1816 in ihrem Tagebuch vermerkt hatte, dass Beethoven ihr wegen ihrer "Sorgfalt um das häusliche Leben" den Beinamen "Äbtissin" gegeben habe; daraus schließt die GA, dass dieser Brief aus dieser Zeit stammen könnte; zu [2]: verweist wohl auf eine Verlesung von "v.G." hin; zu [3]: laut GA die Quelle der künstlerischen Inspiration am Parnaß; zu [4]: verweist auf Fanny Giannatasio; Einzelheiten S. 326 entnommen].

Mit Katharina Giannattasio del Rio adressierte Beethoven die Dame des Hauses, und die von ihm "Äbtissin" genannte Fanny Giannattasio war ihre älteste Tochter.  Dieser "klösterliche" Verweis in Bezug auf Fanny Giannatasio deutet darauf hin, dass er ihre Gefühle für ihn wahrgenommen hatte und durch sein ernstes Verhalten ihr gegenüber aktiv zu entmutigen versuchte.

Dass sich Beethoven zu dieser Zeit stilmäßig bereits von seiner mittleren Schaffensperiode verabschiedet hatte, beweist unter anderem die Fertigstellung seines Liederzyklus Op. 98 "An die ferne Geliebte" und seine Komposition der Baronin Dorothea Ertmann gewidmete Klaviersonate Op. 101.  Zitieren wir dazu einige relevante Stellen aus seiner Korrespondenz:

Zu Op. 98:

"Beethoven an Sigmund Anton Steiner

                                                                                                                [Wien, nach dem 4. Mai 1816][1]

    Der Generalllieutenant erhält hier das Versprochene für Gesang mit Klawier.[2] . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 3, Brief Nr. 932, S. 255-256; Original:  Bonn, Beethoven-Haus, Sammlung Bodmer; zu [1]: verweist darauf, dass der Brief nach der Aufnahme des Darlehens von 1300 Gulden am 4.5.1816 abgefasst wurde; zu [2]: verweist laut GA auf den Liederzyklus, Op. 98; Einzelheiten S. 256 entnommen].

"Beethoven an Karl Peters[1]

                                                                                                             [Wien,]8ten Jenner 1816[recte: 1817][2]

Euer Wohlgebohrn!

    Ich höre erst gestern von Hrn v. Bernard, welcher mir begegenete, dass sie hier sind, u. sende daher diese 2 Exemplare, die leider erst fertig <wurden,> geworden zu eben der zeit, da man schon von Unser<m>rs Lieben verstorbenen Fürsten Lobkowiz Tode sprach,[3] haben sie die Gefälligkeit Sie Sr. Durchlaucht dem Erstgebohrnen Fuersten Lobkowiz[4] zu übergeben Samt diesem schreiben,[5] eben heute wollte ich heute den Hr. Kassier[4] darum ansuchen, <Sie>die Übernahme davon nach Böhmen zu übernehmen, indem ich Sie wirklich alle nicht hier geglaubt.  . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1058, S. 4-6; Original:  Bonn, Beethoven-Haus, Sammlung Bodmer; zu [1]: verweist auf Karl Peters, den fürstlich-lobkowitzischen Hofrat; zu [2]: verweist darauf, dass der Brief nach dem Tod von Fürst Franz Joseph Maximilian Lobkowitz am 15.12.1816 geschrieben wurde, wonach die Jahreszahl auf 1817 zu korrigieren sei; zu [3]: verweist auf die Originalausgabe des Liederkreises op. 98; zu [4]: verweist auf Fürst Ferdinand Joseph Johann Lobkowitz; zu [5]: verweist auf Brief Nr. 1059 vom naämlichen Tag; Einzelheiten S. 6 entnommen].

"Beethoven an Fürst Ferdinand Joseph Johann Lobkowitz

                                                                                                                 Vien am 8ten Jenner 1816 [recte: 1817][1]

Ihro Durchlaucht!

    Ich nehme mir die Freyheit ihnen diese Dedication[2] zu  übersenden, die ihrem Höchstseeligen Vater zugedacht war, u. leider durch Verhinderne Umstände ihm nicht mehr zu Gesicht gekommen,[3] ich wünsche, dass Sie selbe als ein kleines Dankopfer, welches ich ihrem Höchstseeligen Vater darbringen wollte, von mir annehmen wollen. . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1059, S. 6-7; Original:  Braunschweig, Stadtarchiv; zu [1]: verweist darauf, dass der Brief nach dem Tod des Fürsten Franz Joseph Maximilian Lobkowitz geschrieben wurde und dass daher 1817 als Jahreszahl einzusetzen sei; zu [2]: verweist auf die Originalausgabe des Liederkreises op. 98; zu [3]: verweist darauf, dass sich das Erscheinen der Originalausgabe durch Korrekturen bis zum Dezember 1816 verzögert hatte; Einzelheiten S. 7 entnommen].

Zu Op. 101:

"Beethoven an Sigmund Anton Steiner:

                                                                                                               "[Wien, am oder kurz nach dem 9. Januar 1817][1]

Bester Hr. G---ll---t!

   Das Poenale ist hiermit geschloßen, u. zwar zu unsrer Zufriedenheit,[2] welches unserm lieben getreuen g---ll---t zur angenehmen wissenschaft dient. -- wegen dem Titel der neuen sonate[3] brauchts gar nichts anders als den Titel, welche die Sinfonie in A in der Viener M.[usikalischen] Z.[eitung] erhalten, überzutragen, >>Eine die Schwer zu Exeguirende Sonate in A" mein bester g---ll---t wird zwar stuzen u. Meynen, schwer sey ein Relatiwer Begriff, was dem einen schwer sey dem andern leicht, mithin sey gar nichts gesagt, allein der g---n l---t muß wißen, daß mit dem alles gesagt ist, denn was schwer ist, ist auch schön, gut, groß etc, jeder Mensch sieht also ein, daß dies das fetteste Lob ist, was man <sagen>geben kann, denn das schwere macht schwizen . . . "             

[Quelle: Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1061, S. 8 - 9; Original:  Philadelphia, Historical Society of Pennsylvania; zu [1]: verweist auf eine Rezension in der Wiener AMZ 1, Nr. 2 vom 9. Jan.  1817; zu [2]: verweist auf das in Brief 1060 erwähnte  "Poenale";  zu [3]: verweist auf op. 101; Einzelheiten S. 8-9 entnommen].    

  "Beethoven an Sigmund Anton Steiner: 

                                                                                                                                           "[Wien, 23. Januar 1817]

Wir haben nach eigener Prüfung u. nach Anhörung unsers Conseils beschloßen u. beschließen, daß hinführo auf allen unsern Werken, wozu der Titel Deutsch, statt Pianoforte Hammerklavier  gesezt werde, Wornach sich unser bester g--l--l--t Samt adjutanten wie alle anderen die es betrift, sogleich zu richten u. solches in's Werk zu bringen haben.[1]

   statt Piano-forte Hammerklawier. --

Womit es sein Abkommen einmal für allemal hiermit hat. --

gegeben etc.etc. vom

                                                                                g  ----- s

am 23ten Jenner 1817

An den wohlgebornen g --- l l ---- t Von Steiner zu eigenen Händen Publicandum"                                            

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1071, S. 16 - 17; Original:  Bonn, Beethoven-Haus; zu [1]: verweist auf das Titelblatt der Klaviersonatenausgabe, op.  101; Einzelheit S. 17 entnommen].

Kehren wir zurück zu Beethovens Alltagsproblemen und zu seinem freundschaftlichen Umgang.  In den Jahren 1817 und 1818 wandte er sich aufgrund seiner praktischen Hilflosigkeit an eine seiner ältesten Freundinnen, an die von Mozart so süffisant verspottete kindliche Klavierspielerin und Augsburger Klavierbauerstochter Nanette Stein, die nun mit dem ehemaligen Schillerfreund und Klavierbauer Johann Andreas Streicher verheiratet war.  Werfen wir einen Blick auf kurze Ausschnitte aus einigen seiner Zeilen an sie:

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                           [Heiligenstadt, 16. Mai 1817][1]

Werthe Freundin!

    Ich mache Gebrauch von ihrer Erlaubniß ihnen die Wäsche zur gütigen Besorgung zu übermachen,[2] . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1125, Original: nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 486; zu [1]: da laut GA die Korrespondenz mit Nanette Streicher in die Jahre 1817 und 1818 fällt und Beethoven sich nur 1817 in Heiligenstadt aufhielt, sei dieser Brief dem Jahr 1817 zuzuordnen; zu [2]: verweist wahrscheinlich auf ein Besorgungsanbebot Frau Streichers zurück, das wegen Beethovens Aufenthalt außerhalb Wiens erteilt wurde; Einzelheiten S. 62 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher in Baden

An die Frau von Streicher in Baden, abzugeben im Johannes-Bau 1ter Stock No. 7.

                                                                                                        Wien am 20sten Juli 1817[1]

Me werthe Freundin!

Ich konnte wegen dem schlechten Wetter nicht eher als Donnerstags herein kommen u. sie waren schon fort von hier -- w e l c h e r   S t r e i c h  von der Frau v. Streicher??? nach  B a d e n ???!!! . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1142, S. 83-85; Original:  nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 487f.; zu [1]: verweist darauf, dass der Brief an einem Sonntag, also dem 20. Juli 1817, geschrieben wurde; Angabe S. 85 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                   Nußdorf, zwischen dem 25. und 29. September 1817[1]

Beste Frau v. Streicher

    r e d l i c h  ist dieser Bediente[2]  s c h w e r l i c h , obschon ich ihn nicht  g a n z   s o g l e i c h   v e r d a m m e n  will-- . . . Ich schicke ihnen hier die 2 Schlüssel[3] wo sie alles besehen können, . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1173, S. 113; Original: nicht bekannt, Text nach TDR IV, S 494; zu [1]: verweist auf das Jahr 1817; zu [2]: der Diener ist namentlich nicht bekannt; zu [3]: verweist wohl auf die Schlüssel zu Beethovens neuer Wohnung in der Gärtnergasse; Einzelheiten S. 113 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher[1]

                                                                                                        [Wien, Weihnachten 1817][2]

In dieser heiligen Zeit schickte ich ihnen lieber das Evangelium als das Küchenbuch -- . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1199, S. 134; Original: ehemals Marseille, Musee Groet-Labadie; zu [1]: laut GA ist der Brief an Nanette Streicher adressiert; zu [2]: verweist die auf die Weihnachtszeit von 1817; Einzelheiten S. 134 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                       [Wien, 27. Dezember 1817][1]

. . . --heute habe ich unterdessen viel ausgestanden von der N.[any]--habe ihr aber ein halb duzend Bücher zum Neujahr an den Kopf geworfen[2]-- . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1203. S. 137; Original nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 500; zu [1]: verweist laut GA auf dieses Datum; zu [2]: verweist darauf, dass Beethoven diesen Vorfall auch in Brief Nr. 1221 erwähnte; Einzelheiten s. 137 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                      [Wien, nach dem 12. Januar 1818][1]

. . . Ich bitte sie, werthe Fr.v.Str., von meinen Entschlusse mit dem  H o f m e i s t e r  für Karl bei keinem Menschen etwas laut werden zu lassen,  . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1225, S. 157; OriginaL: nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 504; zu [1]: verweist auf Abfassung dies Briefs nach der Kündigung der Haushälterin und vor dem Austritt des Neffen Karl aus dem Internat Giannattasio am 24. Jan. 1818; Angabe S. 157 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                   [Wien, Mitte März 1818][1]

Werthe Frau v. Streicher!

   Czerny war eben hier -- ich werde diesen Abend bey demselben seyn, ob bey ihnen morgen, weiß ich nocht nicht.  Es haben mir einige Teufel von Menschen wieder einen solchen Streich gespielt, dass ich nicht vermag unter Menschen zu seyn -- Carl hat morgen um 11 Uhr Prüfung, weshalb er nicht mitkommen kann, . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1249; S. 180-181; Original: nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 507; zu [1]: verweist auf die Zeit, in der Karl bei Beethoven lebte; Angabe S. 180 entnommen].

"Beethoven an Nanette Streicher

                                                                                                       [Mödling, kurz nach dem 18. Juni 1818][1]

    Sie können nicht urtheilen wie das zugeht. -- Stubenmächden haben wir u. zwar nicht so Elephantenartig wie die Peppi, aber weit geschickter u. ich hoffe auch redlich. . . . Der bey geschlossene Brief ist abzugeben im Institut von H.[errn] Giannatasio auf dem Zimmerplatz 379 so glaube ich wenigstens ist die Numero[3] -- Es ist ober dem Portal mit goldenen Buchstaben geschrieben "Erziehungsanstalt" sol aber heißen  V e r z i e h u n g s a n s t a l t-- . . . unendlich werden sie sich verwundern, was ich in dieser Zeit erfahren habe, mein armer Karl war mir augenblicklich berückt worden, aber es gibt Vieh Menschen -- unter diesen gehört der Pfaff[4] hier auch, der verdient geprügelt zu werden. . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1261, S. 195-196; Original: nicht bekannt, Text nach TDR IV, S. 512; zu [1]: verweist laut GA auf dieses Datum; zu [3]: verweist darauf, dass diese Adresse korrekt ist; zu [4]: verweist auf den Pfarrer Johann Baptist Fröhlich in Mödling; laut GA berichtete Beethoven in seiner Eingabe vom 1.2.1819 an den Wiener Magistrat, dass er "seine Schüler auf die Bank soldatenmäßig legen lässt, um abeprügelt zu werden"; Einzelheiten S. 196 entnommen]. 



 

Beethoven im Jahr 1818



Wie wir auch aus dem Verlauf dieser Korrespondenz entnehmen können, hatte Beethoven in diesem Jahr das Experiment unternommen, seinen Neffen aus dem Giannatasio'schen Institut herauszunehmen und ihn zu Hause mit Hilfe von Privatlehrern und in Mödling durch den dortigen Dorfpfarrer zu erziehen und zu schulen.  Dass dieser Versuch scheiterte, ist uns aus unseren Biographischen Seiten bekannt und ist auch aus seinen Zeilen an Nanette Streicher zu ersehen.

Wie wir bereits aus unseren Biographischen Seiten wissen, hatte sich Beethovens Gehör zu dieser Zeit bereits so sehr verschlechtert, dass er von nun an zur Kommunikation seine berühmten Konversationshefte verwenden musste.

Dass sich Beethoven trotz all dieser Probleme auch künstlerisch weiterentwickelte, ist uns bereits aus unserer Entstehungsgeschichte zur Klaviersonate Op. 106, der sogenannten Hammerklaviersonate bekannt, die er 1817 - 1818 komponiert hatte und deren Korrekturen ihm sein Wiener Verleger Artaria & Comp. am 24. Juli 1819 zusandte:

"Artaria & Comp. an Beethoven

                                                                                                            Wien den 24 July 1819

Euer Hochwohlgeboren!

     Beyliegend übersende ich die Correcturen und glaube fehlerfrey.[1] . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1317, S. 294-295; Original:  Berlin, Staatsbibliothek; zu [1]: dazu verweist die GA auf die Anmerkung Schindlers "von der Sonate Op. 106"; Angabe S. 295 entnommen].

Aus unserer ausführlichen Entstehungsgeschichte zur Missa solemnis Op. 123 wissen wir, dass Beethoven Erzherzog Rudolph, dem er auch Op. 106 gewidmet hatte, bereits in seinem Brief vom 3. März dieses Jahres versprochen hatte, dass "der Tag, wo ein Hochamt Von mir zu den Feyerlichkeiten für I.K.H. soll aufgeführt werden, wird für mich der schönste meines Lebens seyn, u. Gott wird mich erleuchten, daß meine schwachen Kräfte zur Verherrlichung dieses Feyerlichen Tages beytragen.--", womit wir im Jahr 1819 zeitlich auch bei seiner Beschäftigung mit seiner großen Messe angelangt sind.   Zu dieser Zeit beschäftigte sich Beethoven jedoch auch schon mit den ersten Entwürfen zu den Diabelli-Variationen.  

Wie erging es Beethoven im Jahr 1819 und Anfang 1820 in bezug auf seinem Neffen? Zitieren wir dazu aus unseren Biographischen Seiten:

 "Johanna van Beethoven reichte beim Landrecht eine Klage um das Sorgerecht für ihren Sohn Carl ein.  Diese Klage wurde zunächst vom Landrecht am 18. September abgewiesen.  Zu dieser Zeit war Carl Schüler der Gymnasialunterstufe.  Beethoven begann, wieder mit den Giannatasios Umgang zu pflegen.  Aus Fanny Giannatasios Tagebucheintragungen erfahren wir, dass Carl zwischen dem 3. und 5. Dezember Beethoven davonlief, nämlich zu seiner Mutter. Mit Hilfe der Giannatasios wurde Carl durch die Polizei zu Beethoven zurückgebracht.  Johanna van Beethoven reichte am 11. Dezember bei Gericht eine erneute Klage um das Sorgerecht über Carl ein.  Das Landrecht wies die Klage am 18. Dezember an den Magistrat weiter, da sich herausstellte, dass Beethoven nicht dem Adel angehörte (wie das 'van' in seinem Namen die Wiener oft Glauben machte und wozu sich Beethoven bisher nicht klärend geäußert hatte)."

"Anfang 1819 setzte der Magistrat Beethovens Vormundschaft über seinen Neffen Carl ausser Kraft, der sich dann für einige Wochen bei seiner Mutter aufhielt.  Am 11. Februar 1819 reichte Beethoven beim Magistrat seine schriftliche Eingabe in bezug auf seine Pläne für die Erziehung und Ausbildung Carls ein.  Ende März wurde es jedoch als klug erachtet, dass Beethoven seine Vormundschaft zumindest vorübergehend niederlegen sollte.  Am 26. März ernannte der Magistrat den Rat von Tuscher als Carls Vormund (Thayer: 722)."

"Beethoven ging am 12. Mai nach Mödling.. Carl wurde im Institut Blöchlingers untergebracht, einem Anhänger der Erziehungsmethoden Pestalozzis.  Am 5. Juli beantragte von Tuscher, von seiner Vormundschaft über Carl befreit zu werden.  Am 17. September erteilte der Magistrat Johanna van Beethoven das Sorgerecht über ihren Sohn, während der städtische Angestellte Nussboeck zum Mitvormund ernannt wurde.  Am 4. November lehnte der Magistrat Beethovens Einspruch gegen diese Entscheidung ab und veröffentlichte seinen Erlass am 20. Dezember 1819."

"Die Verhandlungen um die Vormundschaft über Carl van Beethoven zogen sich auch vom Jahr 1819 ins Jahr 1820 hinein.  Am 7. Januar reichte Beethoven beim Berufungsgericht seine Eingabe ein. Aufgrund seines "etwas schlechten Gehörs" beantragte er die Ernennung eines Mitvormunds.  Er schlug dafür Herrn Peters, den Privatlehrer der Kinder von Fürst Lobkowitz vor."

"Am 8. April entschied das Berufungsgericht zu Beethovens Gunsten, und Peters wurde zum Mitvormund ernannt.  Johannas Einspruch beim Kaiser gegen diese Entscheidung schlug fehl.  Der Magistrat gab schließlich die endgültige Entscheidung bekannt."




Beethoven 1820



Als Erzherzog Rudolph im März 1820 sein Amt als Erzbischof von Olmütz antrat, war die ihm zugedachte Missa solemnis noch nicht fertig.  Am 25. März schrieb Erzherzog Rudolph an seinen Schützling Beethoven und erhoffte sich von ihm eine fleißige Kompositionstätigkeit.  Beethoven antwortete ihm darauf am 3. April in der üblichen diensteifrigen Weise.  Im Zusammenhang mit Op. 123 und unserer ausführlichen Entstehungsgeschichte dazu begegneten wir auch E.T.A. Hoffmanns Rezension von Beethovens erster Messe aus dem Jahr 1807, aber auch seinem Aufsatz zur "Alten und neuen Kirchenmusik."   Die folgenden Zeilen Beethovens an Hoffmann stehen damit jedoch nicht im Zusammenhang, sondern stellen einen angenehmen Zufall dar:  

"Beethoven an Ernst Theodor Amadeus Hoffmann in Berlin

                                                                                                               Vien am 23ten März 1820

Euer Wohlgebohrn!

    Ich ergreife die Gelegenheit durch Hr. Neberich[2], mich einem so geistreichen Manne, wie sie sind, zu nähern --

    auch über meine wenigkeit haben sie geschrieben,[3] auch unser Schwache Hr. Starke[4] zeigte mir in Seinem Stammbuche einige Zeilen von ihnen über mich, Sie nehmen also, wie ich glauben muss, einigen Antheil an mir; Erlauben Sie mir zu sagen, das dieses, von einem mit so ausgezeichneten Eigenschaften begabten Manne ihres gleichen, mir sehr wohl thut.

    ich wuensche ihnen alles Schoene u. gute und bin

Euer wohlgebohrn Mit Hochachtung ergebenster

                                                                                                                  Beethoven."

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1373, S. 377-378; Original:  Berlin, Staatsbibliothek; zu [2]: verweist auf Adam Neberich, Vikar am Ritterstift St. Alban in Mainz, später Weinhändler, der laut GA in dieser Zeit mehrfach mit Beethoven zusammengetroffen war; laut GA handelt es sich bei diesem Brief um eine Gefälligkeit für Hoffmann oder den Überbringer, Neberich; zu [3]: verweist laut GA darauf, dass Beethoven mit Hoffmann nicht sehr vertraut war und dass Neberich über Hoffmann einige Bemerkungen im zu dieser Zeit benutzten Konversationheft hinterließ; zu [4]: verweist auf den Kapellmeister Friedrich Starke, der auch eine Zeitlang als Karls Klavierlehrer tätig gewesen sein soll; Einzelheiten S. 377-379 entnommen].

Wie TF [S. 759] berichtet, stammt aus dieser Zeit auch Beethovens Kanon "nein, nein ich heiße Hofmann u. bin kein Hofma[nn] sondern ein Elen[der] schuft".

Wie Thayer-Forbes [S. 761-762] berichtet, arbeitete Beethoven, der den Sommer dieses Jahres wieder in Mödling verbrachte, weiter an seinen Entwürfen zur Missa solemnis Op. 123, die noch nicht so weit gediehen waren, als anzunehmen war, aber auch an seiner Klaviersonate, Op. 109 und an den Bagatellen, Op. 119, Nr. 7 bis Nr. 11.  Dort besuchte ihn sein Neffe laut TF [S. 764] während seiner Schulferien.   Beethoven kehrte Ende Oktober selbst wieder nach Wien zurück.  Dort beobachtete ihn der Bremer Beethoven-Bewunderer, der Philologe Dr. W. Chr. Müller, in Gasthäusern "aus der Ferne" und hinterließ seinen Eindruck von dem von ihm so Bewunderten in einem später veröffentlichten Artikel:

"This sense of cosmopolitan independence and consideration for others might have been the reason why over and over again he continued a conversation, already started, in restaurants, where he often had his frugal lunch, and expressed opinions freely and candidly about everything, the government, the police, the manners of the aristocracy in a critical and mocking manner.  The police knew it but left him in peace either because he was a fantastic or because he was a brilliant artistic genius.  Hence his opinion and assertion that nowhere was speech freer than in Vienna.  His ideal of [political] constitution was the English one" [TF: 765; --

"Sein unabhängiger Weltbürgersinn und seine Sorge um andere mag der Grund gewesen sein, warum er immer wieder eine bereits begonnene Konversation in Gasthäusern weiterführte, wo er oft sein bescheidenes Mittagessen einnahm.  Er drückte seine Meinung über alles frei aus, die Regierung, die Polizei, ja er kritisierte sogar das Verhalten des Adels spöttisch.  Die Polizei wusste das, ließ ihn aber in Ruhe, und zwar entweder, weil er ein Fantast war oder weil er ein brilliantes künstlerisches Genie war.  Daher kam wohl seine Meinung, dass die Redefreiheit nirgends größer war als in Wien.  Sein politisches Ideal war die englische Verfassung"].

Im Jahr 1820 präsentiert sich uns also das Bild eines der Wirklichkeit durch seine Taubheit und durch die Lösung des Vormundschaftsproblems etwas entrückten, erleichterten, seiner künstlerischen Tätigkeit wiedergegebenen Komponisten, der auch seine "Narrenfreiheit" doppelbödig ausnutzte.

Das Kapitel zum Jahr 1821 ist in der Standardbiographie von Thayer-Forbes wohl deshalb sehr kurz, weil Beethoven in diesem Jahr gesundheitlich sehr angeschlagen war und weil weder viele Konversationshefte noch viele Briefe erhalten geblieben sind.  Wie TF [S. 775-776] jedoch berichtet, erholte Beethoven sich laut eines Berichts in der Novelistik-Abteilung der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 10. Januar 1821 von einem rheumatischen Fieber und war wohl auf dem Weg der Besserung.  Aus unseren Biographischen Seiten ist uns auch bereits bekannt, dass seine alte Flamme Josephine von Brunsvik nach langen Jahren der Einsamkeit und Krankheit am 31. März 1821 verstarb.  

Als sich Beethoven dann, kaum vom Rheuma erholt, in der warmen Jahreszeit nach Unterdöbling begab, litt er dort laut TF [S. 776-777] an Gelbsucht. Seine Zeilen an Erzherzog Rudolph vom 18. und 19. Juli 18121 verweisen auch auf dieses Leiden:

"Beethoven an Erzherzog Rudolph

                                                                                         Unterdöbling am 18ten Jul 1821[1]

Ihro Kaiserliche Hoheit.

   Ich hörte gestern von Höchstdero Ankunft hier, welches, so erfreulich es mir wäre, nun ein trauriges Ereigniß für mich geworden, da es ziemlich lange werden dörfte, bis ich so glücklich seyn kann, I.K.H. aufzuwarten, schon lange sehr übel auf entwickelte sich endlich die Gelbsucht vollständig in mir eine höchst ekelhafte Krankheit, ich hoffe wenigstens, daß ich noch I.K.H. hier vor ihrer Abreise sehe[2] -- ... "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1436, S. 444 -- 445; Original:  Wien, Gesellschaft der Musikfreunde; zu [1]: verweist auf Brief Nr. 1437, Anm. 1 bezüglich des Datums; zu [2]: verweist darauf, dass Beethoven bis Ende August 1821 an Gelbsucht litt und dann im September auf Anraten seines Arztes, Dr. Staudenheim, nach Baden zur Kur ging; Einzelheiten S. 445 entnommen].

"Beethoven an Erzherzog Rudolph

                                                                                           [Unterdöbling, 19. Juli 1821][1]

Ihro Kaiserliche Hoheit!

    Ich hatte schon einen weitläufigen Brief an Höchstdieselben geschrieben,[2] welchen mein Kopist Schlemmer übergeben wird, ich hörte vorgestern die Ankunft I.K.H., u. schrieb daher gestern sogleich das obenerwähnte schreiben -- wie traurig bin ich, daß mich die Gelbsucht, der ich unterliege, verhindert, sogleich zu I.K.[H]. zu Eilen, . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1437, S. 445-446; Original:  Wien, Gesellschaft der Muskfreunde; zu [1]: verweist darauf, dass dieser Brief offenbar einen Tag nach Brief Nr. 1436 geschrieben wurde; zu [2]: verweist auf Brief Nr. 1436; Einzelheiten S. 446 entnommen].

Laut TF  [S. 781] arbeitete Beethoven in diesem Jahr im Herbst weiter an seinen Klaviersonaten, Op. 110 und Op. 111.  

Wie TF [S. 783] berichtet, wohnte Beethoven Anfang 1822 noch im Landstraßenviertel, und am 13. Januar soll er auf dem Manuskript seiner letzten Klaviersonate deren Vollendung vermerkt haben.

Dass es ihm auch im Februar dieses Jahres gesundheitlich nicht allzu gut ging, beweisen seine Zeilen an seinen alten, zu dieser Zeit in Wien gastierenden  Bonner Kollegen, den Cellisten Bernhard Romberg:

"Beethoven an Bernhard Romberg[1]

                                                                                         [Wien, 12. Februar 1822]

Lieber Romberg!

    Ich <habe> bin diese Nacht wieder von den bey mir in diser JahresZeit gewöhnlichen Ohrenschmerzen befallen worden, deine Töne selbst  würden für mich heute nur Schmerz seyn, diesem nur schreib es zu, wenn du mich nicht selbst siehst -- vieleicht ist es in ein paar Taegen besser, wo ich dir dann noch lebewohl sagen werde -- wenn du mich übrigens nicht zum Besuch bey dir gesehen hast, so bedenke die Entlegenheit meiner wohnung,[2] meine beynahe unausgesezten Beschäftigungen, um so mehr da ich ein ganzes Jahr hindurch immer krank war, wodurch ich in so manchen begonnenen Werken aufgehalten wurde -- und am Ende braucht es der nichts sagenden Komplimente zwischen uns ohnedem nicht -- ich wünsche dir zu dem vollen Tribut des Beyfalls deiner hohen Kunst auch die Metallische Anerkennung, was jezt selten der Fall ist;[3]  -- wenn ich nur ein wenig kann, so seh ich dich samt deiner Gattin u. Kinder welche <lezte> ich hier von Herzen grüße gewiss noch[4] --

leb wohl großer Künstler wie immer <dein> der deinige

                                                                                                                            Beethoven

am 12ten Febr. 1822

Für Seine wohlgebohrn H.[errn] Bernhard Romberg."

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1457, S. 473-474; Original:  Tartu, Wissenschaftliche Bibliothek der Staatlichen Universität; zu [1]: verweist auf den Cellisten Bernhard Romberg, der wie sein Vetter Andreas Romberg ehemals Bonner Hofmusiker war; zu [2]: verweist darauf, dass Beethoven noch in der Vorstadt Landstraße wohnte; zu [3]: verweist auf Eduard Hanslicks Bericht, dass Romberg bei seinen Konzerten in Wien 10000 Gulden eingenommen hatte; zu [4]: verweist darauf, dass es nicht bekannt ist, ob es zu einer Begegnung kam; Einzelheiten S. 473-474 entnommen].

Dies ist vielleicht der einzige Hinweis Beethovens auf "übliche" Ohrenschmerzen während dieser Jahreszeit.  Was uns jedoch als unverwechselbar Beethoven'sch in diesem Brief begegnet, ist die Betonung seiner grundsätzlichen und sein ganzes Erwachsenenleben durchziehenden Ansicht, dass es zwischen Freunden keiner vordergründigen, an gesellschaftliche Konventionen gebundenen, Korrespondenz oder ebensolcher Besuche bedarf, um ihre enge Verbundenheit zu bestätigen.

Beethovens Finanzlage dieser Zeit, die wir im entsprechenden Abschnitt unserer Biographischen Seiten anschneiden und in unserer Entstehungsgeschichte zur Missa solemnis eingehender erwähnen, brachte ihn in diesem Jahr "notgedrungen" in einen erneuten, engeren Kontakt mit seinem Bruder Nikolaus Johannes.  Betrachten wir dazu einige Zeilen aus seiner Korrespondenz dieses Sommers mit ihm:

"Beethoven an Johann van Beethoven

                                                                                                    [Wien, Anfang Mai 1822][1]

  . . . nun leb wohl ich hoffe dich ganz gewiß zu sehn heute nachmittag, wo wir alsdenn nach Nussdorf fahren könnten, welches mir auch sehr zuträglich wäre. --

dein treuer Bruder

                                                                                                                            Ludwig.

                                               Nachschrift

    Friede Friede sey mit unss, Gott gebe nicht, dass das Natürlichste Band zwischen Brüdern wieder unnatürlich zerrissen werde, ohnehin dörfte mein Leben nicht mehr Langer Dauer seyn, . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Band 4, Brief Nr. 1461, S. 478-479; Original:  1. Blatt Braunschweig, Prof. Dr. Walter Henn, 2. Blatt Wien, Gesellschaft der Musikfreunde; zu [1]: verweist darauf, dass der Brief laut GA aus dem Jahr 1822 stammt, als Beethoven plante, mit seinem Bruder gemeinsam eine Wohnung zu beziehen; Angabe S. 478 entnommen].

"Beethoven an Johann van Beethoven in Gneixendorf

                                                                                                          [Döbling[1], 31. Juli 1822]

Bestes Brüderl!  Grossmächtigster Gutsbesitzer!

    Gestern schrieb ich Dir[2], jedoch ermüdet von vielen Anstrengungen und Beschäftigungen; und mit einer schlechten Feder mag es Dir schwer werden zu lesen. . . . 

. . . Jetzt lebe wohl, bestes Brüderl! lies alle Tage das Evangelium; führe Dir die Episteln Petri u. Pauli zu Gemüth, Reise nach Rom, u. küsse dem Papst den Pantoffl.

Dein treuer Bruder

                                                                                                                        Ludwig . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1486, S. 520 - 521; zu [1]: bezieht sich darauf, dass der Brief vielleicht auch bei einem Besuch Beethovens in Wien im Blöchlingerschen Institut, wo er seinen Neffen besuchte, geschrieben worden sein könnte; zu[2]: verweist wohl auf Brief Nr. 1485; Einzelheiten S. 521 entnommen].

"Beethoven an seinen Bruder Johann in Gneixendorf

                                                                                                     [Baden, nach dem 24. September 1822][1]

Lieber Bruder!

    Ich war in großer Verlegenheit wegen des Ausbleibens deiner Antwort;[2] mein Gehörzustand, der mich auf eine gewisse Weise abgeschlossen von den Menschen macht, verursachte, dass ich glaubte, Du habest dich mit Steiner zertragen.[3] . . . "

[Quelle:  Ludwig van Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Bd. 4, Brief Nr. 1497, S. 534-435; Original:  Bonn, Beethoven-Haus; zu [1]: verweist darauf, dass der Brief nach dem Brief vom 24. September an Simrock geschrieben wurde; zu [2]: verweist darauf, dass Beethoven seinen Bruder beauftragt hatte, mit Steiner einen Vergleich über seine Schulden auszuhandeln; zu [3]: verweist wohl auf Brief Nr. 1488 vom 22. August, der nicht erhalten blieb; Angaben S. 534-535 entnommen].     

Während der Herbst dieses Jahres eine erneute erfolgreiche Aufführung seiner einzigen Oper Fidelio mit Wilhelmine Schroeder-Devrient in der Hauptrolle brachte, sind wir nun zeitlich dort angelangt, wo wir im nächsten Abschnitt den "einschlägigen" Faden wieder aufnehmen können.



 


Beethoven 1823




Sechs Jahre sollten also vergehen, bevor Beethoven sich wieder mit Streichquartetten befassen würde.  Im Herbst 1816 war er bereits ein anderer als im Frühherbst 1815, nach seinem Erfolg während der Zeit des Wiener Kongresses und nach dem vertraulichen, freundschaftlichen Umgang mit Gräfin Erdödy im Sommer 1815.  Der Tod seines Bruders Caspar Carl am 15. November und die Sorge um seinen Neffen Carl hatten sein Leben insofern verändert, als er nun von seinem Gehalt und seinen Einkünften aus dem Verkauf seiner Kompositionen nicht nur sich selbst zu ernähren und seine eigene Gesundheit zu erhalten hatte, sondern auch für Carl und dessen Erziehung aufzukommen hatte.  Auch war das finanzielle Gleichgewicht dieser Situation bereits gegen ihn gerichtet, da er ja seinen  kranken Bruder noch zu dessen Lebzeiten unterstützt hatte und sich dadurch bei seinem Verleger Steiner verschuldet hatte.

Aus seinem Verständnis dessen heraus, was die ideale Erziehung eines Kindes auszumachen hatte, vielleicht auch aus dem Drang heraus, an seinem Neffen Karl das wiedergutzumachen, was in seiner eigenen Erziehung versäumt worden war, "musste" er gegen den Einfluss seiner Schwägerin Johanna auf ihren Sohn kämpfen, ja er "hatte" seinen Neffen vor ihr zu retten.

Solche Herausforderungen können jedoch auch als allgemein-menschlich angesehen werden, da sie nicht nur Künstlern wie Beethoven begegnen.  Es ist jedoch sehr fraglich, ob ein schwerhöriger Durchschnittsbürger mit einer klaren Einschätzung seiner eigenen Lage versucht hätte, sich so intensiv wie Beethoven zu engagieren, ja sogar zu versuchen, seinen Schützling im eigenen Haushalt erziehen zu lassen.  Es ist auch nicht auszuschließen, dass Beethoven angesichts der Möglichkeit, sich um einen jungen Verwandten zu kümmern, auch seine eigene Einsamkeit erkannte und nach seinem Abschied von seiner Rolle als Junggeselle auf Freiersfüßen seinen Neffen zum Sohn machte, um sich nicht, wie in der Schiller'schen Ode an die Freude angedeutet wird, "weinend aus diesem Bund" derer schleichen zu müssen, die "auch nur eine Seele auf diesem Erdenrund" ihr Eigen nennen können.

Auch nach der Klärung der Vormundschaftsfrage im Jahr 1820 blieb Beethovens Grundsituation die selbe, wie sie es seit November 1815 war, wurde nun jedoch auch dadurch erschwert, dass er vollständig taub war.  Sein notgedrungener Existenzkampf führte, wie wir wissen, zu seiner vielkritisierten Handlungsweise bezüglich der Vermarktungsversuche seiner Werke und als Folge zum Verlust alter Freunde.  Im Grunde war er nun allein mit sich und seinen Werken.

Daher waren es wohl auch seine Werke, auf die sich diese Ereignisse auswirken sollten, und das zu unserem Vorteil sehr positiv.  Dies ermöglicht uns letztendlich, Spuren dieser Auswirkungen in den Kommentaren "unserer" Musikkritiker zu finden, aber auch in den letzten Streichquartetten selbst.



ZU UNSEREM ABSCHNITT ZUM ÄUSSEREN ANLASS
ZUR KOMPOSITION DER LETZTEN STREICHQUARTETTE